Paul Watzlawick: Vom Leiden an der Welt zur Idee menschlicher Güte

Die Suche nach dem Lebenssinn verstellt uns den Blick auf ein glücklicheres Lebens, glaubt der in Villach geborene Psychotherapeut und Autor des Bestsellers “Anleitung zum Unglücklichsein”, Paul Watzlawick.

In einem Interview mit der Kleinen Zeitung vor sieben Jahren haben Sie gesagt, daß bis zur Jahrtausendwende noch einige “menschliche Verrücktheiten” auf uns zukommen werden. Wie ist Ihre Analyse heute?

PAUL WATZLAWICK: Wir haben alle naiverweise angenommen, daß im Jahr 1989 beim Zusammenbruch der Sowjetunion die Vernunft und die Menschlichkeit siegen werden. Und Sie sehen ja, was daraus geworden ist. Es liegen historische Berichte vor über die Verrücktheit, die sich auf das Jahr 1000 hin langsam steigerte. Man glaubte damals, daß beim zwölften Glockenschlag am 31. Dezember 999 die Welt zugrunde geht.

Für das Jahr 2000 sehen Sie da Parallelen?

WATZLAWICK:  Natürlich Parallelen modernerer Art, aber wir werden wahrscheinlich eine Zunahme an Sektentätigkeiten oder bei Behauptungen von außerirdischen Erscheinungen beobachten.

Weil an das Jahr 2000 gewisse Sinnerwartungen geknüpft werden?

WATZLAWICK: Absolut, allein begründet durch die Natur dieser Zahl. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie sich Erwartungen als falsch und unbedeutend erweisen können.

Nun werden viele Themen – die Zuwanderung von Ausländern oder die Einführung des Euro – auf teils sehr irrationale Weise diskutiert.

WATZLAWICK: Ja, und haben enorme emotionale Bedeutung. Die Einheitswährung ist im Grunde eine ganz konkrete Sache. Aber nein, da werden Mythen herumgesponnen! Hochinteressant war für mich die weltweite Bestürzung über den Tod der Prinzessin Diana, daß sich Milliarden von Menschen in einer Weise verhalten, die man früher religiösen Überlegungen zugeschrieben hätte.

Der Tod Dianas ist auch ein Beispiel dafür, daß diese Sinnsuche des Menschen nicht unbedingt eine nach materiellen Gütern sein muß.

WATZLAWICK: Das hat es natürlich immer gegeben. Ich wohne am Rand des Silicon Valley und komme daher mit Leuten in Berührung, die fest annahmen, daß die Reduktion der Wirklichkeit auf 0 und 1 endlich eine Wirklichkeit schaffen wird, die klar ist, absolut wahr ist. Und merkwürdigerweise ist der Kokainverbrauch im Silicon Valley besonders hoch.

Außer dieser Digitaleuphorie gibt es aber – gerade in Hinblick auf das Internet – auch diese Behaftung von Technik mit dem Bösen, das Internet als Hort der Pornographie.

WATZLAWICK: Pornographie wird fortwährend als etwas ganz Schreckliches hingestellt. Man legt sich aber nicht darüber Rechenschaft ab, daß Gewalttätigkeit überhaupt viel häufiger dargestellt wird. Ein Achtjähriger in Amerika hat bereits 5000 Gewaltakte im Fernsehen gesehen.

Diese Realitäten, die konstruiert werden, werden demnach sehr stark über Medien programmiert.

WATZLAWICK: Ja, und die Fernsehleute sagen dann: “Wir verursachen die Gewalttätigkeit nicht, wir berichten sie nur.” Ein großer Unterschied!

Gibt es da wirklich diese klare Kausalität zwischen Sehen und Tun?

WATZLAWICK: Der Mensch hat sich immer angepaßt an das, was ihm von außen her vorgesetzt wurde, als das Bedeutende oder als das Mutige. Heutzutage ist es eben die Gewalttätigkeit. Wenn ich jemanden umbringe, dann bin ich doch wer. Alle Wirklichkeiten sind konstruiert, und da gibt es Konstruktionen, die katastrophale, und andere, die sehr positive Folgen haben. Daher würde ich vorschlagen, Programme zu machen, in denen menschliche Güte das Hauptthema ist. Aber das schaut sich ja kein Mensch an (lacht). Bestenfalls, wenn ein Hund eine Katze aus einem brennenden Haus rettet, das ist natürlich schon schön. Aber dabei bleibt’s: daß Akte menschlicher Güte und Hilfe von größter Wichtigkeit sind, hat heute keine Bedeutung.

Wie kommt man aber überhaupt – unter der Annahme, daß jede Wirklichkeit konstruiert ist – zu einem Begriff von Güte?

WATZLAWICK: Es gibt doch Handlungen, die Schmerzen erzeugen und zerstörerisch sind, und andere, die offensichtlich positive Bedeutung haben. Schmerz ist etwas, das bekannt ist, das keiner besonderer Definition bedarf. Wer leidet, der leidet. Und da gibt es natürlich Wirklichkeitskonstruktionen, die das eine fördern und das andere unmöglich machen.

Im “Unsinn des Sinns” erläutern Sie das glückliche Zusammenkommen von Selbst und Welt im Kontext von Todeserfahrungen. Sie schreiben andererseits, daß Sie erst zwei Menschen getroffen haben, die diese Erfahrung bereits im Leben machten.

WATZLAWICK: Der eine war Graf von Türkheim, der andere Krishnamurti, den ich persönlich kennenlernte, als ich in Bombay lebte. Zu dem Punkt zu gelangen, wo wir plötzlich durchbrechen, aus unseren Konstruktionen herausbrechen, das ist ein vollkommen unbeschreibliches Ereignis.

Warum scheitern wir im Leben ständig daran, diese Einheit mit der Welt, also Glück, zu erlangen? 

WATZLAWICK: Es scheitert daran, daß wir immer eine Idee haben, dieses Ziel muß ich erreichen, dann bin ich glücklich. Aber das dritte Luxusauto des Millionärs, der vierte Pelzmantel der Gattin machen nicht glücklicher. Oscar Wilde sagt, es gibt im Leben zwei Tragödien: “Die eine ist die Nichterreichung eines Herzenswunsches, die andere ist seine Erreichung. Von den beiden ist die zweite bei weitem tragischer.”

Ernst Bloch spricht auch von der Melancholie der Erfüllung. Wenn man sich etwas vornimmt und sagt, wenn ich das erreiche, dann ist mein Leben sinnvoll, dann bin ich glücklich. Und dann kommt man an, ja, Gott, es ist sehr nett, aber kann doch nicht alles sein.

Also liegt es daran, daß – wie Sie sagen – die Suche selbst daran schuld ist, daß wir unglücklich sind. Aber was bleibt sonst von mir, nicht ein sehr einsamer Mensch?

WATZLAWICK: Darüber kann man eben nicht reden. Im Moment, in dem man dieses Erlebnis zu benennen versucht, ist die Sache verloren.

Das Glück ist also das Unsagbare. 

WATZLAWICK: Und das ist schon zuviel gesagt.

Erschienen in der Kleinen Zeitung vom 2.10.1997

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